Wasserkraft und Wasserflut – von Hospental nach Münster, 8. – 10. August

Noch beschwingt vom Weisswein, den uns Erich gestern zu seinem sechzigsten Geburtstag spendiert hat, wandern wir heute Morgen in Hospental los. Zunächst schont es noch, doch gegen den Furkapass hoch ziehen sich bereits dunkle Wolken zusammen. Durch die Urseren geht es nach Realp, vorbei an den paar Häusern von Zumdorf, dem vielleicht kleinsten Dorf der Schweiz. Realp ist heute ganzjährig von der Matterhorn-Gotthard-Bahn geprägt (früher Furka-Oberalp-Bahn), seit 1982 mit dem Furka-Basistunnel eine wintersichere Verbindung ins Wallis geschaffen wurde. Zuvor musste die Furka-Bergstrecke in den Wintermonaten jeweils für den Bahnbetrieb geschlossen und abgebaut werden. Heute ist die seit 1992 schrittweise wiederöffnete Furka-Dampfbahn eine erstrangige Touristenattraktion, die von Eisenbahnfreunden aus der ganzen Welt besucht wird. Seit 2010 fährt sie im Sommer wieder auf der gesamten Strecke zwischen Realp und Oberwald.
Während unseres Aufstiegs auf dem alten Saumpfad begegnet uns der rauchende und dampfende Zug, der dank unzähliger Arbeitsstunden von Freiwilligen zu neuem Leben erweckt worden ist. Einer kulturhistorischen Reminiszenz begegnen wir in einer Kehre der Furka-Passstrasse. Die Informationstafel weist auf den James Bond-Film „Goldfinger“ (1964) hin, für den an der Furka eine berühmt gewordene Auto-Verfolgungsjagd gefilmt wurde. Die Filmszenen zeigen die Strasse in der Urseren noch nicht asphaltiert, und auf der Walliser Seite des Passes fällt der Rhonegletscher noch weit ins Tal hinunter.
Ausschnitt: https://www.youtube.com/watch?v=3RdK51Igeqc
Wir erreichen die Station Tiefenbach, wo die Geleise der Furka-Dampfbahn im Scheiteltunnel verschwinden. Für uns Wandernde geht es auf einem schmalen Weglein hinauf zum ehemaligen Hotel Furkablick. Auf der anderen Seite der Strasse liegen die Baracken der Schweizer Armee. Hier hat 2008 die Universität Basel in Zusammenarbeit mit regionalen Partnern die Ausbildungs- und Forschungsstation Furka eingerichtet, in der wir heute Abend zu Gast sind. Leiterin Erika Hiltbrunner und Professor Christian Körner empfangen uns herzlich und informieren mit Vorträgen über aktuelle Forschungsprojekte der Station. Auch die Bewirtung ist ausgezeichnet, und die Nacht in den ehemaligen Soldatenunterkünften ist überraschend angenehm. Da whatsalp nicht zuletzt auch ein angewandtes Forschungsprojekt ist, dürfen wir in der Forschungsstation übernachten, die sonst Forschenden vorbehalten ist.
Bereits am Vorabend ist Glaziologe Samuel Nussbaumer auf dem Furkapass eingetroffen, der uns heute Morgen hinauf zu einem Aussichtspunkt hoch über der Zunge des Rhonegletschers führt. Der an der der Universität Bern für den World Glacier Monitoring Service tätige Fachmann informiert uns ausführlich über den weit unter uns liegenden, immer noch mächtigen Eisstrom, aus dessen Zunge der Rotten bzw. die Rhone entspringt und durch das Wallis Richtung Mittelmeer fliesst. Dieser stolze Fluss wird uns in den nächsten Tagen begleiten, bevor er im Unterwallis in den Genfersee fliesst.
Während der Ausführungen Nussbaumers bläst ein kalter Wind, sodass wir bald darauf zum zwei Jahren geschlossenen Hotel Belvédère an der Furkapass-Strasse absteigen. Wir fragen uns, ob sich das historische Hotel wohl deshalb kein Wirt finden lässt, weil der Rhonegletscher aus seinem Panorama verschwunden ist. Jedenfalls hat sich der berühmte Eisstrom seit etwa der Jahrtausendwende hinter den obersten Felsaufschwung hinauf zurückgezogen. Die Kehren der Passstrasse abschneidend gelangen wir nach Gletsch hinunter, wo sich unterhalb des ausgedehnten Gletschervorfeldes die grossen Hotelanlagen befinden. In der Dépendence Blaues Haus besuchen wir die Ausstellung „Landschaft am Rhonegletscher und ihre Darstellung durch die Jahrhunderte“ und lassen diese von Nussbaumer kommentieren. Dann beginnt der beschwerliche Wiederanstieg auf den Grimselpass und zum Berghaus Oberaar. Auf der Berner Seite des Passes blicken wir auf die drei grossen Stauseen der Kraftwerke Oberhasli (KWO) Räterichsboden, Grimsel und Oberaar hinunter. Einmal mehr wird für uns deutlich, wie stark die Grimsel mit Kraftwerksinstallationen verbaut ist, oder wie die Journalistin Bettina Dyttrich ein paar Tage später in der Wochenzeitung schreibt: „Die Landschaft da draussen ist ein einziges grosses Kraftwerk: Mauern, Seen, Verbindungsseilbahnen, trutzige Hotelbauten, unter dem Boden ein Labyrinth aus Stollen, und manchmal trifft man mitten in der Steinwüste auf Metallschildchen, auf denen «Kabelschacht» steht.“ Kurz vor dem Abendessen treffen wir im Berghaus Oberaar ein. Auch dieses befindet sich im Besitz der KWO.
Am nächsten Morgen stattet uns der Grimselverein im Berghaus Oberaar einen Besuch ab; früh sind die alten Freunde aufgestanden, um um halb neun hier oben zu sein. Viel länger als geplant sitzen wir bei Kaffee und mitgebrachtem Kuchen zusammen, schwelgen in Erinnerungen und wälzen Zukunftspläne. Doch dann müssen wir los als – doch als wir aus der Tür treten, regnet es wieder in Strömen. Unseren Besuch auf dem Sidelhorn, wo das Treffen mit dem Grimselverein ursprünglich geplant war, streichen wir wegen Nässe und Wind. Ganz auf diesem Berg oben findet seit bald drei Jahrzehnten jedes Jahr am zweiten Samstag im August das traditionelle Alpenfeuer des Grimselvereins statt. Schon vor 25 Jahren war eine Delegation der TransALPedes-Gruppe dabei, während der Rest mit der Alpen-Initiative in Wassen im Kanton Uri feierte.
Der starke Regen verwandelt die schmalen Wege über die Triebtenseelicke in Bäche. Mit klitschnassen Schuhen balancieren zwischen Wasser, Grasbüscheln und Steinplatten über den Berg. Mit der Zeit hört der Regen auf und wir steigen über den gut erhaltenen alten Grimselweg nach Obergesteln im Obergoms ab. Dort empfängt uns eine kleine Delegation der Jusos und wandert mit uns nach Münster, wo wir uns am frühen Abend mit VertreterInnen der EnergieregionGOMS treffen.