Gespräch mit der Gemeinde Briançon und Flüchtlingen am 4. September 2017 im Maison de la Jeunesse et de la Culture in Briançon

TransALPedes-Kernteammitglied François Labande, der bei den französischen Grünen ist, organisiert für uns ein Treffen mit der grünen Vize-Bürgermeisterin Francine Daerden. Francine ist seit 2009 im Amt, als die Grünen in einer Koalition mit linken Parteien die Wahlen gewonnen hatten. Seither entwickelt sich in Briançon eine Willkommenskultur für Flüchtlinge, wie diese sonst nur in wenigen Städten Frankreichs besteht. Das ist auch bitter nötig, denn sseit einigen Jahren gelangen via den Col de l’Echelle täglich Flüchtlinge nach Briançon. Es sind meist junge Männer aus dem frankophonen Afrika, welche die Flucht unter unvorstellbaren Bedingungen über Nordafrika und das Mittelmeer nach Italien geschafft haben. Die französische Grenzpolizei ist sehr aktiv und versucht, möglichst viele Flüchtlinge abzufangen und nach Italien zurück zu schicken.
Die Organisation „Tous Migrants“ betreut zusammen mit anderen Organisationen in einer ehemaligen Polizeistation ein Empfangszentrum für Flüchtlinge und leistet die dringendste Hilfe. In Anlehnung an den Namen der französischen Grenzpolizei CRS hat man dem Zentrum den Namen „Collectif Réfugiés Solidarité“ gegeben. Es hat neben drei bezahlten MitarbeiterInnen viele freiwillige HelferInnen. Die Situation ist oft kritisch, besonders wenn grössere Gruppen von neuen Flüchtlingen eintreffen: „Wir arbeiten 16 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche“, erklärt uns Michel Rousseau, der vor einem Jahr die Organisation „Tous Migrants“ ins Leben gerufen hat.
Wir können das Gebäude besichtigen und kommen mit einigen MigrantInnen ins Gespräch. Sie sind seit gestern hier und noch sichtlich gezeichnet von den auf der Flucht erfahrenen physischen und psychischen Strapazen. Francine fordert uns auf, ihnen über das Projekt whatsalp zu berichten. Es wird jedoch rasch deutlich, dass sie im Moment anderes beschäftigt als die Probleme der europäischen Alpen. Dies eine Region, von denen die meisten nur eine vage Vorstellung haben – und wahrscheinlich gemischte Gefühle, wenn sie an ihre kürzliche Flucht über die Berge denken. Die jungen Männer geben sich zurückhaltend und möchten auch kein Foto mit uns machen, wie das Francine vorschlägt.
Anschliessend wohnen wir einer Informationsveranstaltung für die Neueintreffenden bei. Eine junge Zentrumsmitarbeiterin berichtet, dass ein Flüchtling in ein Fussballteam aufgenommen wurde und fragt, wer sich am Sonntag den Match anschauen möchte. Nicht alle haben verstanden, was sie gefragt hat, doch nach kollektiver Übersetzungsarbeit melden sich einige Zuschauer für den Match. Am Schluss laden wir die Anwesenden ein, am Mittwoch einen Tag mit uns mitzuwandern. Es melden sich zwei junge Männer, wir werden am Zentrum vorbeiwandern und sie mitnehmen.
Michel informiert uns nachher noch etwas über die Hintergründe der französischen Flüchtlingspolitik. Obwohl sich in Frankreich viele Menschen für die EmigrantInnen einsetzten, herrsche unter den PolitikerInnen im Département Hautes Alpes sowie im ganzen Land eine negative Stimmung gegenüber den Fremden und es werde viel zu wenig für sie getan. Er berichtet über den von zahlreichen humanitären Organisationen im Rahmen des Réseau Hospitalité sans Frontières kürzlich verabschiedeten „Appell von Embrun“. Danach soll die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der nichtstaatlichen Flüchtlingshilfe verstärkt werden. Insbesondere werde mit der Deklaration auch eine Aufkündigung des Dubliner Abkommens verlangt, damit zukünftig jeder Flüchtling sein Gastland selber wählen kann. Zudem sei am 23. September 2017 ein Aktionstag mit dem Thema “Redonner aux cols leur rôle de passage“ geplant.