Jungeralm und Silberpfennig – von Dorfgastein über die Jungeralm nach Kolm-Saigurn

Unsere Gastgeber in Dorfgastein sind Franz und Heidi Rest und ihr Sohn Matthias. Heidi arbeitet als Geschäftsführerin der Ökostrombörse Salzburg, Franz ist Biobauer und Kommunikationswissenschaftler an der Universität Salzburg. Beim Frühstück diskutieren wir über die Umweltpolitik im Alpenraum und fragen uns, warum es kaum noch Widerstand gegen die umfangreiche Bautätigkeit in vielen Skigebieten gibt. Franz sieht dafür mehrere Gründe: Einerseits die allgemeine Stagnation von Umweltthemen in der Politik und damit zusammenhängend die gegenwärtige Baisse der Grünen, andererseits aber auch die Verschiebung von Alpen-Themen auf die globale Ebene. Sodann gebe es heute immer weniger junge Leute in den Berggebieten, und auch kaum mehr solche, die sich in einer lokalen Initiative engagierten. Viele gingen für eine Ausbildung in die Stadt und kehrten – mangels beruflicher Perspektiven – nicht mehr in ihre Täler zurück.

Wir starten in Dorfgastein beim Supermarkt am Ortseingang, wo wir noch etwas Picknick einkaufen. Uns fällt auf, dass an mehreren Orten im Tal solche Einkaufszentren entstanden sind, während die Kreisler (kleine Dorfläden) aus den Dorfkernen verschwinden. Wir wandern der Gasteiner Ache nach dem Talboden entlang. Links und rechts an den Berghängen sind die Spuren der fortschreitenden Vergandung gut zu erkennen, auf die uns Gemeindearchivar Horst Wierer hingewiesen hatte. Ein Problem, dem wir während unserer Wanderung noch an vielen Orten in den Alpen begegnen werden.

Für die Mittagsrast wählen wir nicht das Ortszentrum von Bad Hofgastein, sondern das Weitmoserschlössl, dessen Geschichte eng mit dem Bergbau im Gasteiner Tal und dem daraus resultierendem Reichtum verbunden ist. Das Anwesen ist seit über 250 Jahren im Besitz der Familie von Landesrat Hans Scharfetter, den wir gestern bei unserer Veranstaltung in Bad Hofgastein kennen lernten. Als der Regen aufhört gehen wir, die Tauernbahn querend, die hier der Talflanke entlang sanft an Höhe gewinnt, ins Angertal hinein. Nach einigen Diskussionen über die perfekte Route teilt sich unsere Gruppe. Harry und Thomas sind der Meinung, dass sie auf der rechten Talseite über Forststrassen rascher vorankommen, Annette und Dominik wählen den markierten Wanderweg durch den Wald. So geht es ins Skizentrum Angertal mit seinen etwas futuristisch anmutenden Installationen hinein, die jetzt im Sommer allesamt geschlossen sind. Dafür wird den sommerlichen BesucherInnen die Montanhistorie näher gebracht, und es ist „echtes Goldwaschen“ möglich. Zwar ist heute kein Vergleich mehr mit dem historischen Gold- und Silberbergbau in den Hohen Tauern. In In früheren Jahrhunderten bildete das Tauerngold die Grundlage für den unermesslichen Reichtum von Fürsten und Königshäusern. Auch der Aufstieg zur Jungeralm durch die monotonen Fichtenwälder erinnert daran, dass hier früher jeder Baum für die Erzverhüttung genutzt wurde. Heute sind die Wälder teils in einem sehr schlechten Zustand und die Monokulturen begünstigen die Ausbreitung des Borkenkäfers.

Die Jungeralm, wo wir heute übernachten, ist eine kleine Almwirtschaft mit sechs Betten mitten im Skigebiet von Bad Gastein. Dennoch ist einschliesslich der warmen Dusche alles vorhanden und wir werden mit feinen Käsenockerln bekocht. Am Abend berichtet uns der über achtzigjährige Almbauer Hias, wie er hier 1943 als Bub seinen ersten Almsommer verbracht hatte. 1951 wurde der Skilift gebaut und nach dessen Erneuerung erhielt die Alm in den 1970er-Jahren eine Fahrstrasse. Beim Bau der Almstrasse hatten die Bergbahnen den Almwirt zwar nicht um sein Einverständnis gefragt, aber er war trotzdem froh um den erleichterten Zugang, ersparte ihm das doch den langen Fussweg aus dem Tal. Später arbeitete der Almbauer im Winter bei den Bergbahnen, was ihm ein Auskommen ermöglichte. Hias berichtet auch darüber, wie er noch vor zwei Jahrzehnten Gemüse, Milch und Käse an die lokale Gastronomie liefern konnte, was aufgrund der veränderten Bedingungen für die meisten Bauern heute nicht mehr möglich ist.

Beim Frühstück spricht Hias den Wolf an, den er im Gasteiner Tal am liebsten nicht antreffen möchte. Wir ziehen es aber vor, auf die Diskussion mit unserem liebenswürdigen Gastgeber zu verzichten und brechen auf. Noch im Morgennebel nehmen wir den Weg unter die Füsse, denn heute sind zwei Scharten zu bewältigen – die Miesbichl- und die Bockhartscharte. Die Schattbachalm lassen wir zunächst links liegen und Dominik schlägt ein forsches Tempo an, zu forsch, wie es sich bald zeigen wird. Der Weg hinauf ist der falsche und eine Stunde später sitzen wir alle wieder unten in der Schattbachalm. Beim Kaffee plaudern wir mit der Almwirtin, die heute die Saison eröffnet, wir sind die ersten Gäste dieses Jahr. Nun dem etwas versteckten Wegweiser folgend geht es weiter hinein ins Tal. Nach zwei Stunden erreichen wir die Miesbichlscharte, die vom Kleinen Silberpfennig und vom Ortberg flankiert wird. Gegenüber liegt das frisch verschneite Schareck; der Neuschnee lässt uns bereits erahnen, dass morgen mit dem Hohen Sonnblick ein Problem auf uns zukommt.

Doch zunächst gilt es den schmalen Weg hinter uns zu bringen, der sich hoch über dem Bockhart-Stausee dem steilen Hang entlang zur Bockhartscharte hinüber schlängelt. Der See erinnert uns an TransALPedes 1992, als Jürg Frischknecht das damals hochaktuelle Thema der Pumpspeicherwerke als Schwerpunkt eingebracht hatte. Wie die damaligen Projekte in der Schweiz ist auch der Bockhartsee ein Pumpspeicher, der billigen Bandstrom (u.a. Atomstrom aus dem Ausland) in teuren Spitzenstrom umwandelt. Zum Glück haben wir die anspruchsvollste Wegpartie bereits hinunter uns, als uns ein kurzer, aber heftiger Regenguss innert Minuten klitschnass badet. Unter der Bockartscharte weist uns Gerhard auf die Spuren des Bergbaus in der Landschaft hin. Früher schürften hier oben Knappen auf über 2000 m ü.M. unter härtesten Bedingungen nach Edelmetallen. Bis zum 16. Jahrhundert wurden in den Hohen Tauern bis zu zehn Prozent des weltweiten Goldes gefördert. Die vielen Abraumhalden mit ihrem rötlichen Gestein sind noch gut erkennbar. Warnschilder weisen darauf hin, dass das Betreten der baufälligen Stollen lebensgefährlich ist. Gerhard erklärt, dass der Übergang ursprünglich nicht Bockhart sondern Pocher-Kar hiess, wegen des Lärms der Hammerschläge, der hier einst durch den Kessel hallte.

Angekommen auf der Scharte ist der Regenschauer bereits wieder vorüber und wir schauen ins Rauriser Tal und in den Nationalpark Hohe Tauern hinunter. Es ist dieser grösste Nationalpark der Alpen, der uns die nächsten Tage beschäftigen wird. Seine Entstehungsgeschichte ist einmalig. Heute aufgegliedert in eine Salzburger, Tiroler und Kärntner Nationalparkverwaltung wurde er nach einer langen Vorgeschichte ab 1981 als erster österreichischer Nationalpark eingerichtet. Dazu gehörten harte Auseinandersetzungen um Kraftwerksprojekte und Skigebietspläne. Der Nationalpark Hohe Tauern, in dessen östlichen Teil wir hier stehen, erstreckt sich bei einer Fläche von 1800 qkm über hundert Kilometer von Ost nach West und über vierzig Kilometer von Nord nach Süd. Wir werden uns bei den Treffen heute Abend im Rauriser Tal und danach in Grosskirchheim intensiver mit dem Nationalpark auseinander setzen können. Im Naturfreundehaus Kolm-Saigurn, wo wir am späteren Nachmittag eintreffen, warten bereits Christian Baumgartner, Jens Badura und seine Partnerin Gisela Badura-Lotter auf uns. Mit ihnen und den Naturfreunden diskutieren wir heute Abend über die Herausforderungen des Nationalparktourismus in Zeiten der Erlebnisgesellschaft.

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