Westalpenführer im Rotpunktverlag – Gespräch mit Thomas Heilmann und Werner Bätzing am 19. September in Sambuco


Der Zürcher Rotpunktverlag gehört heute zu den wichtigsten Wanderbuchverlagen der Schweiz. Dabei produziert er eine besondere Art von Wanderbüchern, bei denen die Themen mindestens ebenso wichtig sind wie die Wanderinformationen. Neben und mit den Wanderführern erscheinen im Rotpunktverlag anspruchsvolle literarische Werke und engagierte politische Sachbücher (darunter „alpine“ Literatur von Corinna Bille, Leta Semadeni, Romano Ganzoni u.a.). Thomas Heilmann gehört zu den Gründern des Rotpunktverlags, der letztes Jahr sein 40-Jahr-Jubiläum feiern konnte. Dieser wurde übrigens als Parteiverlag der linksalternativen POCH-Partei gegründet, das erste Produkt war 1976 ein Buch mit Reden von Fidel Castro.
Heilmann bezeichnet den Rotpunktverlag als „Riese unter den Zwergen“, der insgesamt rund 800 Bücher veröffentlicht hat, davon 380 lieferbare Titel. In die Produktion von Wanderbüchern ist der Verlag eingestiegen, nachdem Lektor Andreas Simmen 1992 ein Stück der TransALPedes-Tour mitwanderte. Daraufhin erschien im Rotpunktverlag 1993 das TransALPedes-Buch „Alpenglühn“. In der Folge begannen das ehemalige TransALPedes-Kernteam-Mitglied Jürg Frischknecht und seine Lebenspartnerin Ursula Bauer mit ihren Lesewanderbüchern. Ihr Primeur war 1995 der erfolgreiche Weitwanderführer „Grenzschlängeln – Routen, Pässe und Geschichten. Zu Fuss vom Inn an den Genfersee“. Heilmann sagt, dass die beiden AutorInnen damit ein eigentliches neues Genre entwickelt hätten, seien ja Wanderbücher bisher nicht zum Lesen im Sofa geeignet gewesen. Heilmann erinnert sich gerne an Buchvernissagen mit Ursula Bauer und Jürg Frischknecht zurück, die immer ein Highlight gewesen seien. Bei der Vorstellung ihres Bergell-Führers seien die beiden AutorInnen der Kritik wegen des zu grossen Gewichtes ihrer Bücher mit einer Performance begegnet. Dabei hätten sie dem Publikum gezeigt, wie man beim Packen des Rucksacks Gewicht einsparen kann, zum Beispiel indem man bei der Zahnbürste den Stil absägt.
Ein Jahr später erschien als erster Führer in der Naturpunkt-Reihe „Pässespaziergang. Wandern auf alten Wegen zwischen Uri und Piemont“ von Dominik Siegrist, einem weiteren ehemaligen Mitglied des TransALPedes-Kernteams. Die neue Reihe und der Name entsprangen einer Kooperation zwischen den Naturfreunden und Rotpunktverlag. Wegen Meinungsverschiedenheiten wurde die Zusammenarbeit aber bereits vor Erscheinen des „Pässespaziergang“ beendet und der Verlag führte die Reihe allein weiter. Bisher sind im Rotpunktverlag rund siebzig Wanderbücher erschienen, davon rund vierzig Naturpunkt-Führer. Neben diesen und den Lesewander- und Weitwanderbüchern etablierten sich weitere Reihen: Architektur-, Literatur- und Geschichtswanderführer sowie Wanderführer auf den Spuren bekannter Gemälde.
Mit dem Lesewanderbuch „Antipasti und alte Wege. Valle Maira – Wandern im andern Piemont“ von Ursula Bauer und Jürg Frischknecht begann der Rotpunktverlag mit der Veröffentlichung von Westalpenführern. 2003 folgten Werner Bätzing und Ko-Autor Michael Kleider mit dem vollständig überarbeiteten und neu gestalteten zweibändigen Führer zur Grande Traversata delle Alpi gta. Bätzing erinnert sich, wie er 1986 den Wanderführer über die gta Nord und 1989 über gta Süd veröffentlicht hatte, nachdem er seit 1979 mit der gta-Gruppe in Turin in Kontakt gestanden und für die gta Pressearbeit in Deutschland gemacht hatte. Wichtige Anregungen hätten Bätzing italienische Wanderführer gegeben, in denen Geschichte und Kultur immer wichtige Bestandteile gewesen seien. Mit dem gta-Führer, der zuerst im Verlag Der Weitwanderer erschienen ist, seien viele Menschen mit den piemontesischen Alpen in Kontakt gekommen, die sonst nie damit zu tun gehabt hätten. Die verschiedenen regionalen Wanderbücher, die Werner Bätzing und Michael Kleider in der Folge veröffentlichten, sollten eine Ergänzung und Vertiefung zu den gta-Führern darstellen. Wichtig sei dabei immer gewesen, einen Partner in der jeweiligen Region für Informationen, Werbung und Vertrieb zu finden. Bisher liegen im Rotpunktverlag von Bätzing & Kleider neben dem gta-Führer folgende Westalpenführer vor: Seealpen (2006), Valle Stura (2008), Ligurische Alpen (2011), Gran Paradiso (2013) und Lanzo-Täler (2015). 2008 erschien von Philipp Bachmann der zweibändige Weitwanderführer „Zu Fuss von Genf nach Nizza“. Neben den Westalpenführern veröffentlichte Werner Bätzing im Rotpunktverlag 2015 zusammen Hannes Hoffert-Höfl das Wanderbuch über den Ötscher. Whatsalp traf Hoffert-Höfl übrigens im Juni in der Östscher-Region und in der Ramsau, wo von ihm im Rotpunktverlag ein Wanderführer über die Dachsteinregion erscheinen wird. Weitere Bücher von Werner Bätzing im Rotpunktverlag waren „Entgrenzte Welten. Die Verdrängung des Menschen“ (2005, gemeinsam mit Evelyn Hanzig-Bätzing), die Aufsatzsammlung „Orte des guten Lebens“ (2009, ebenfalls gemeinsam mit Evelyn Hanzig-Bätzing) und die Publikation „Zwischen Wildnis und Freizeitpark. Eine Streitschrift zur Zukunft der Alpen“ (2015).
Die nachfolgende Diskussion dreht sich um die Zukunft von Wanderbüchern. Braucht es vermehrt digitale Führer, die die Wandernden auf ihren Smartphones, iPads und Kindles dabei haben? Thomas Heilmann gibt zu bedenken, dass erste Versuche des Verlags erfolglos waren, die digitale Version eines Wanderführers fand keine AbnehmerInnen. Unser junger Mitwandernder Stefan schlägt vor, dass der Rotpunktverlag einen Wanderblog einrichten soll, auf dem die nicht mehr lieferbaren Bücher gratis heruntergeladen werden können. Thomas verweist auf das Wanderweb, über das aktuelle Informationen zu den Rotpunkt-Führern verfügbar sind. Im Weiteren ist er der Meinung, dass eine Nachfrage weiterhin besteht, wenn gute Bücher gemacht würden.
Heute Abend anwesend sind auch Wolfram Mikuteit und Sabine Bade von der Westalpen-Plattform. Sie haben bereits eine grosse Zahl von Wanderführern u.a. zu den Westalpen veröffentlicht, so der sehr lesenswerte thematische Wanderleseführer „Partisanenpfade im Piemont. Orte und Wege des Widerstands zwischen Gran Paradiso und Monviso“ (2012). Sie bestätigen die Auffassung von Heilmann und fügen an, dass es eben auch geeignete AutorInnen brauche, die die Bücher schreiben, auch jüngere.
Kommentar von Dominik, der auch Mitglied des Naturpunkt-Fachbeirates im Rotpunktverlag ist: Diese Diskussion betrifft auch den Rotpunktverlag. Mit dem Tod von Jürg Frischknecht Jahr 2016 und dem Rücktritt von Lektor Andreas Simmen 2017 zeichnen sich grössere Veränderungen ab. Auch viele der Wanderbuch-AutorInnen im Rotpunktverlag stehen vor oder über dem Pensionsalter und der Autorinnen Nachwuchs ist noch nicht sehr stark. Neben dem Senior Thomas Heilmann ist heute eine jüngere Generation von Mitarbeitenden aktiv, welche die Verlagstradition weiterführen aber auch Neues versuchen wollen. Soll die engagierte Wanderbuchtradition im Rotpunktverlag weitergehen, werden wir eine jüngere AutorInnenschaft finden müssen, welche hoffentlich auch neue bzw. veränderte Formen von engagierter Wander- und Reiseliteratur hervorbringen wird.