Wir haben Andreas ganz zu Beginn unserer Tour in der Pension Fellner in Perchtoldsdorf kennengelernt. Andreas wiederum traf unterwegs Thomas, der ebenfalls Nizza als Ziel hatte. Die Beiden haben uns folgenden Beitrag übermittelt:
Thomas:
Mein Sabbatical wollte ich für die Erfüllung eines lange gehegten Traums nutzen. Die Durchquerung der Alpen von Wien bis Nizza. Die Route suchte ich mir bis ins Aostatal selbst aus, alpine Erfahrungen hatte ich ja genug. Grosse Hilfe war Hans Thurners Buch. Er und seine Freundin machten bereits 2011 Wien – Nizza.
Trotz meines defekten Knies wagte ich, mit mulmigem Gefühl, am 5. Juni 2017 den Start in Kahlenbergerdorf an der Donau. Im 15 Kilo Rucksack war auch eine Zeltausrüstung um flexibel zu reagieren.
Andreas:
Der Traum einmal für mehrere Wochen auszusteigen schlummerte schon ziemlich lange in mir. Einmal das machen, wonach sich mein Herz sehnt und sich für eine begrenzte Zeit aus dem „Hamsterrad“ zu befreien. Den Entschluss fasste ich sehr kurzfristig. Inspiration gab mir, ähnlich wie Thomas, das Buch von H. Thurner „2000km Freiheit“. Als ich dieses Buch las, war ich von der Idee total begeistert, … über drei Monate zu Fuß durch die Alpen. Das muss ich machen, schoss es mir durch den Kopf. Es blieben mir nur knapp sechs Wochen um alles Organisatorische zu erledigen. Die größte Hürde war, in der Kürze der Zeit meinen Arbeitgeber von dieser verrückten Idee zu überzeugen und mich für vier Monate freistellen zu lassen. Alles Weitere war nicht so problematisch, die fehlende Ausrüstung war schnell besorgt, eine solide körperliche Fitness war vorhanden, Bergerfahrung hatte ich genügend und der Routenverlauf war schnell grob abgesteckt. Wie die Etappen im Detail aussehen und wo ich übernachte, würde ich dann unterwegs entscheiden. Meine Zeltausrüstung sollte mir die nötige Unabhängigkeit geben.
Am ersten Juni startete ich mit dem Zug in Richtung Wien. Während des Umsteigens wurde mir immer wieder die Schwere meines Rucksacks bewusst. Wie soll ich nur dieses schwere Ding für über drei Monate über die Alpen schleppen? Nach drei Tagen Sightseeing in Wien, starte ich am 4. Juni meine große Tour. Auf dem Nordalpenweg wanderte ich durch den Wiener Wald, über den Peilstein und die Dürre Wand zum Hochschneeberg. Hier oben bot sich mir ein fantastischer Weitblick bis hin zum Neusiedler See.
Thomas & Andreas:
An der Rax traf ich Andreas. Er war hatte dasselbe Ziel! Gemeinsam ging es durch die Steiermark über Schneealpe, Hohen Veitsch und Hochschwab bis Eisenerz. Hier trennten wir uns.
Thomas:
Ich wanderte mit einer Freundin von Leoben durchs Gesäuse nach Admont. Andreas folgte der direkten Route nach Rottenmann und in die Tauern. Ab Admont ging ich über die Tauern ins Lungau und über den Katschberg nach Kärnten. In Mallnitz Heimfahrt nach München, wichtige Dinge zu regeln. Zurück über Heiligenblut und Osttirol ins Arvental. Dort Anfang Juli Übergang nach Italien! Über die südlichen Zillertaler erreichte ich Mitte Juli Sterzing, weiter über den Jaufenpass nach Meran, per Bus nach Prad am Stilfserjoch und zu Fuss das Stilfserjoch hinauf.
Über Livigno und die Oberengadiner Seen in wenigen Tagen nach Chiavenna. Nach Dongo am Comer See nahm ich den Schweizer Bus. Im Anschluss gings auf den San Joriopass. Dort zeigten sich Lago Maggiore und das Monte Rosa Massiv. Hier, diese Aussicht vor Augen, erreichte mich die Energie um den Weg bis zum Ende in Nizza zu gehen. Das Knie machte leidlich mit, die Kondition war gut und auch die Psyche hielt den Strapazen stand.
Von Bellinzona fuhr ich erneut kurz heim, bis ich dann am 1. August von Spruga im Val Onsernone aus in 2 Tagen durch ein aufgegebenes leeres Gebiet Domodossola erreichte.
Über das Val Antrona und den Passo Antigine, kurz über Schweizer (Walliser) Gebiet auf den Monte Moro Pass mit seiner berühmten Madonna. Die Aussicht auf die Monte Rosa Ostwand war überwältigend.
Andreas:
Nachdem ich mich von Thomas in Eisenerz verabschiedet hatte, führte mich mein Weg weiter auf dem Nord- bzw. Zentralalpenweg durchs Gesäuse und durch einen Teil der Rottenmanner und Schladminger Tauern bis nach Tamsweg. Von dort aus wanderte ich weiter über die kuppenartigen und grasbewachsenen Berggipfel der Nockberge zu den Kärntner Seen. Am idyllisch gelegenen Weißensee, gönnte ich mir meine erste kleine Auszeit von meiner Auszeit. Weiter ging es durch die Gailtaler- und Karnischen Alpen nach Sexten. Den ursprünglich geplanten Karnischen Höhenweg, musste ich leider auslassen. In den darauf folgenden sechs Tagen wanderte ich durch die vielgestaltige und großartige Felsenlandschaft der Dolomiten. Von den mächtigen Felstürmen der Drei Zinnen, vorbei am märchenhaft gelegenen Pragser Wildsee, unter den Nordwänden der Geislerspitzen entlang, über den Ausserraschötz bis ins Eisacktal. Über das Rittner Horn, von welchem sich ein großartiges Dolomitenpanorama bot, wanderte ich in den nächsten drei Tagen durch die Sarntaler Alpen nach Meran. Hier pausierte ich einige Tage bevor es dann weiter hinauf zum Stilfser Joch ging. Dort erwarteten mich beeindruckende Ausblicke in die Gletscherwelt von König Ortler. Die nächsten Tage führten mich auf der Via Alpina durch das Valtellina ins schweizerische Poschiavo. Von hier aus fuhr ich mit dem Zug über Tirano nach Varenna am Comer See, von wo ich mit der Fähre nach Menaggio übersetze und mit dem Bus nach Lugano fuhr. Anlässlich des Schweizer Nationalfeiertages bot sich mir dort am Abend ein beeindruckendes Feuerwerkspektakel in der Bucht von Lugano. Weiter führt mich der Weg über den Lago Maggiore zum Lago d’Orta. In Campello Monti traf ich das erste Mal auf den italienischen Fernwandweg „Grande Traversata delle Alpi“, der für die nächsten Wochen auch zum Wegweiser wurde.
Thomas & Andreas
Über Macugnaga, das erste Walserdorf, traf ich am 6. August in Carcoforo wieder mit Andreas zusammen. Gemeinsam ging es über den Fernwanderweg GTA nach Rima, Alagna, das Kloster Oropa nach Quincinetto am Beginn des Aostatals weiter. Hier die Zäsur. Der entscheidende Abschnitt sollte beginnen.
Bisher hatten wir riesiges Glück mit dem Wetter. Schlimmes ist nicht passiert. Der Gesundheit geht es leidlich gut, nur die Erschöpfung fordert auch psychisch langsam ihren Tribut. Nur einige wenige halbe Regentage waren zu meistern. Viele faszinierende Entwicklungs- und Kulturräume haben wir durchwandert. Von Ost-Österreich über Bayerisch geprägten Steirer und Tiroler Landschaften zu den Lombardischen, Walliser und Rätoromanischen Kulturbereichen. Bisher konnten ich die Aufteilung der Alpen in verschieden Zonen gut beobachten: Tourismus, Luxus, Verkehr und Industrie, intensive Landwirtschaft und die Aufgegebene Zone.
Hier, nahe der Poebene, machte ich per Bus einen Abstecher zum Mont Blanc und holte Andreas nach 3 Tagen in San Lorenzo am Valle di Locana ein. Mit Deutschen GTA Wanderer setzten wir den Weg über Cereso Raele und die 3 Lanzo Täler fort.
Mittlerweile ging es durch leere, zum Teil zerstörte Geisterdörfer, zerfallene Terrassen und aufgegeben Almen. Froh waren wir, wenn ein Senn oder eine Bar zu finden war. Läden waren selten. Nur die Posto Tappas waren noch bewirtschaftet. Eine leichte Verzweiflung machte sich breit. Wegen der nunmehr frontal zu querenden Ost-West Täler kam es mir vor als ob ich gegen Wände anrenne. 1200 m hoch, 1200 m runter, 10 Kilometer Reingewinn, über Wochen! Erst als wir die grosse Furche des Valle di Susa erreichten wurde es leichter. Den Franko-Provenzalischen Raum verliessen wir in Usseax, dem schönen Dorf der Waldenser. Nun ging es im Okzitanischen weiter. Col Albergian, Chigo und das Rif. Jervis waren die nächsten Stationen. Beim Refuge Viso, Frankreich!, nordseitig am massiven Monviso ins Bellino und endlich nach Chiappera im Val Maira.
Weiter, offener und sehr trocken wird nun die Landschaft. Larche, in Frankreich erreichten wir über den Col de Sautron am 1. September. Von nun ab Frankreich, Täler in Richtung des Ziels. Erneut eine Zäsur, die Letzte, und grosser Motivationsschub. In 8 Tagen ist Nizza möglich. Und wir schafften es! Am 9. September sprangen wir mit den Bergstiefeln an den Füssen, Schampus in der Hand, ins Mittelmeer.