Künstliche Beschneiung in den französischen Alpen – Gastblog von Carmen de Jong

In Frankreich, wie auch in den restlichen Alpen, erhöht sich der Anteil der Pistenflächen nur noch gering, doch die Fläche der beschneiten Pisten und deshalb auch die Wasserentnahmen für Kunstschnee nimmt jährlich immer noch weiter zu. Im Jahr 2009 lag die Pistenfläche In Frankreich bei 26.500 ha, davon wurden 26% (7407 ha im Jahr 2012) beschneit. Dies entspricht etwa 30 Millionen m3 Wasser jährlich.
Das Argument, dass alles Wasser, das in einem Einzugsgebiet für die Beschneiung entnommen wird, durch das Abschmelzen im Frühjahr wieder vollständig zurückgegen stimmt nicht. Als ersten gehen ca. 30% durch Verdunstung in den Speicherbecken und während der Beschneiung verloren. Ausserdem kommt das Wasser niemals wieder an die gleiche Stelle und in der gleichen Qualität wieder zurück.

Unter natürlichen Bedingungen werden Quellen aus einem Zusammenfluss von unterirdischen Fliesswegen aus kleinen, trichterförmigen Einzugsgebieten gespeist. Eine Skipiste ist ein lineares Element, dass Wasser nur an einer Stelle zusammenführt. Deshalb kann eine oder mehrere Pisten längst nicht als Ersatz für die Fläche eines Einzuggebietes fungieren. Darüber hinaus ist der Schnee auf den Pisten zeitlich begrenzt und fliesst nicht langsam, sondern meistens sehr schnell ab. In Folge der versiegelten Flächen fliesst dieses Wasser eher an der Oberfläche als unterirdisch ab. Die Konzentration der Schmelzwässer in den Entwässerungskanälen und unterhalb der Pisten führt oft zu Erosion und einer erhöhten Belastung durch Sedimentfracht.
Mit dem Klimawandel nehmen die Probleme der Wasserverfügbarkeit zu. Die Situation in schneearmen Wintern ist besonders kritisch weil sie fast immer mit einer allgemeinen Dürresituation verbunden ist, d.h. mit mangelnden Niederschlägen, geringeren Grundwasserständen (bei typischerweise kleinen Grundwasserspeicher), weniger oder ausbleibender Quellschüttung und erhöhter Verdunstung. In solchen Fällen sollte der Wasserverbrauch für Kunstschnee ganz verboten werden. Im Winter 2016/2017 hat die allgemeine Trockenheit und Schneearmut über mehrere Monate in den Alpen zu prekären Situationen bei der Beschneiung geführt. Man machte sich Sorgen, ob Schneekanonen bald verboten werden würden und die Medien berichteten von bevorstehende Wasserrestriktionen in Hochsavoyen, sollte sich die Situation nicht verbessern. Man hatte aber dann doch nicht den Mut, die Anordnung des Präfekten zum Wasserverbot für die Beschneiung durchzusetzen. Viel Verantwortungsvoller reagierten manche Schweizer Skiorte. Zum Beispiel war die Skigebiete Schwarzsee und La Berra über mehrere Wochen geschlossen weil nicht genug Wasser für die Schneeproduktion vorhanden war. Das Niveau des Schwarzsees, aus dem das Wasser entnommen wird, wäre sonst zu tief gefallen. Im Vorarlberg war die Situation derart kritisch, dass Trinkwassernetzwerke genutzt wurden, um die Speicherbecken für den Kunstschnee aufzufüllen. Auch in Frankreich werden zunehmend Seen, wie zum Bespiel Lac Montriond für das Skigebiet Avoriaz für die Beschneiung angezapft.

Ich bin immer wieder über die erfinderischen Fähigkeiten der Seilbahnvertreter und Beschneier in den Alpen beeindruckt. Die Argumente werden immer exotischer und entfernen sich immer weiter vom natürlichem Wasserkreislauf, als ob es die Alpen früher ohne Beschneiung gar nicht gegeben hätte. Es heisst auf einmal, dass die Beschneiung gut gegen den Klimawandel wäre, dass die alpine Flora ohne Kunstschneedecke absterben würde und jetzt kommt das rasante Argument der Vermeidung von Versiegen von Quellen dank dem zeitlich versetzten Schmelzen des Kunstschnees.
An erster Stelle versiegen Quellen und vertrocknen die Bäche wegen der Beschneiung. Bäche werden umgeleitet und in Speicherbecken geführt. Mehr und mehr Quellen werden angezapft oder neu angelegt, und wenn sie lokal nicht mehr ausreichen, wird das Wasser von anderen Quellen am Gegenhang angezapft und aufwendig die Hänge wieder hinaufgepumpt. Jüngste Studien in Zentraleuropa zeigen, dass bis zu 10% des Abflusses von Gebirgsbächen durch die Beschneiung reduziert wird und in Zukunft bei zunehmend beschneiten Pistenflächen und Häufigkeit der Beschneiung mehr als ein Drittel des Abflusses fehlen wird. Dieser Wassermangel hat unumkehrbare Auswirkungen auf die Fauna, Flora und nicht zuletzt auf die Wasser und Trinkwasserversorgung- und Qualität der betroffenen Bürgern und Touristen. Zum Beispiel führen Bäche im Winter teilweise so wenig Wasser wegen der Wasserentnahme für die Beschneiung, dass sie schneller gefrieren und dabei zu Fischsterben führen.
Das grösste Speicherbecken der französischen Alpen, „Retenue Collinaire d‘Arc 2000“ hat ein Volumen von 400,000 m3. Es liegt in Les Tuffes, wie der Namen bereits verrät, einem ehemaliges Feuchtgebiet. Ich war oft an diesem Ort mit all seinen ungeheuren Verbauungen. Inzwischen wurde oberhalb der Retenue eine Art aus Stein gepflasterte Autobahn gebaut, um zu verhindern, dass der Bach bei Hochwasser in die Retenue fliesst. Ein Regisseur hat dort mit mir Filmszenen für einen Film mit dem Titel „Weisses Wasser“ (L’Eau Blanche) gedreht und Ausschnitte davon im Vorfeld bei einer Debatte zum Thema Wasser und Umwelt in Paris gezeigt. Doch aus politischen Gründen wurde dieses Projekt nicht finanziert und seine dazugehörige Webseite beim damaligen Verein „Eau Bien Commun de Rhone Alpes“ gelöscht.
Sie pumpen viel zu viel Wasser (ca. fast 1 Million m3 pro Jahr durch mehrere Füllungen) von der Retenue als Kunstschnee hauptsächlich auf die Pisten von Arc 1600 und Arc 1800 über den Pass in das benachbarte Einzugsgebiet aber auch auf die von Arc 2000. Der Wasserüberschuss verstärkt die lokalen Hochwässer, verursacht Muren und erhöht die Sedimentbelastung der Gewässer. Das Wasser um diese Retenue zu füllen ist lokal im Einzugsgebiet nicht genügend Wasser vorhanden. Es müssen immer mehr neue Bäche und Quellen, auch Trinkwasserquellen, in immer weiterer Entfernung angezapft werden. Es gibt schon nicht mehr genug Wasser um die Schwimmbäder der Hotels in Les Arcs 1600 zu füllen. Deshalb denkt man schon daran, das Wasser der Retenue Les Tuffes auch für die Schwimmbäder zu nutzen. Fraglich ist dabei, ob und wie das Schwimmbadwasser gereinigt wird, wenn die Schwimmbäder entleert werden. Das Trinkwasser wurde vor Jahren bereits einmal in einem Nachbardorf, Peisey-Nancroix kontaminiert als ein anderes Kunstschnee-Speicherbecken verunreinigt wurde. Ein Kollege von mir, der dort ein Chalet hat, trinkt, wie viele andere Dorfbewohner, seither nur noch Flaschenwasser.

Die Probleme der Wasserqualität sind von wachsender Bedeutung. Die Schadstoffkonzentration, speziell der Koli-Bakterien Anteil der Wasserproben, gemessen 2014 und 2015 unterhalb vom Skiort Les Menuires (in der Nähre von Val Thorens) liegen in allen Jahreszeiten weit oberhalb des Trinkwasserlimits. Die EU Norm für Trinkwasser liegt bei 0 E. Coli Bakterien pro 100 ml Wasser. Im November lagen die Werte bereits oberhalb von 200 E. Coli Bakterien pro 100 ml, im Dezember über 3000 und im März nahe 7000. Weitere Probleme der Trinkwasserqualität mit bedrohlicherer räumlicher Ausweitung, sogar über ganze Einzugsgebiete, können im Sommer auftreten. Im Juli 2016 kam es im Chamrousse Skigebiet bei Grenoble durch intensive Sommerregen zu erheblicher Erosion und zu Murgängen auf den Pisten, die zu dieser Zeit instandgehalten wurden. Die Trinkwasserfassung von sechs Gemeinden unterhalb von Chamrousse (Villeneue und Replat (St. Martin d’Uriage), Herbeys, Brié-et-Angonnes, Romage und Champanet (Poisat)) wurde durch die hohe Sedimentbelastung kontaminiert und die Bewohner konnten vier Tage lang ihr Trinkwasser nicht benutzen. Trotz der Verschmutzung und zahlreichen Demonstrationen gegen eine Vergrößerung des Skigebietes, gibt es Pläne, das relative schneearme Chamrousser Skigebiet bis auf 2440 m Höhe in ökologisch sensible Lagen weiter auszubauen.
Meine Untersuchungen zur Verdichtung der Skipisten habe ich mittlerweile nicht nur in La Rosiere und Les Menuires ausgeführt, sondern auch in den italienischen Alpen (Foppolo) und im Schwarzwald (Seibelseckle). Alle Skipisten sind 4 – 20 mal weniger durchlässig als die umliegende natürliche Böden und viele Skipisten sind ab einer Tiefe von 20 cm ganz undurchlässig. Die intensive Beschneiung und Bearbeitung mit Schneeraupen kompaktiert die Böden erheblich. Dies erklärt warum es auf den steilen Hängen der Skipisten zu extrem starken Oberflächenabflussen mit Erosion kommt.
Der Anteil der Betroffenen bei der Kunstschnee- und Skientwicklung wird immer grösser aber auch komplexer. Viele Einwohner wehren sich gegen Kunstschneeentwicklung. Im Skigebeit Hauteville, Hochsavoyen hat es beispielsweise im Jahr 2016 eine Petition gegen Kunstschneeausbau mit mehr als 6000 Unterschriften (>50% der Einwohner) gegeben. Dies wurde von den Entscheidungsträgern jedoch ignoriert. Im Dezember 2016 war die neue Kunstschneeinfrastruktur bereits installiert konnte aber wegen den hohen Wintertemperaturen erst im Januar 2017 in Gang gesetzt werden. Das Wasser wird einem lokalen See entnommen. Die vielen gescheiterten Beschneiungversuche führten fast zur Austrocknung des Sees.

In Zukunft sollte eine EU Tourismusrichtlinie dafür sorgen, dass unter solchen Bedingungen weder Kunstschnee produziert wird noch entsprechende Infrastrukturen ausgebaut werden. Das Wasser ist ein Schatz für eine vielfältigen, vier Jahreszeiten Tourismus.